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Ausgabe 02 | 2024: Bedrohte Vielfalt
Schwerpunkt
Thomas/flickr.com/CC BY-NC-ND 2.0 Deed

Den Rechten nicht das Feld überlassen

In der Fußball-Fankultur hat sich in den letzten Jahren viel getan. Projekte und Initiativen nehmen sich problematischer Strukturen an, arbeiten aktiv dagegen und unterstützen marginalisierte Gruppen, die auch Spaß am Stadionbesuch haben wollen, ohne diskriminiert zu werden. So auch das Fan-Projekt Bremen.

Fußball ist ein kerniger Sport, der immer noch in weiten Teilen klassisch männlich dominiert wird. Auf dem Platz geht es rau zu. Das Spiel ist nicht selten grob und konfrontativ. Auf Seiten der Fans herrscht in der Regel ein binäres Freund-Feind-Schema, ein „Wir gegen die.“ Das können Strukturen sein, in denen sich nicht-demokratisches Denken und Agieren leichter etablieren kann als etwa in anderen Sportarten. Bei näherer Betrachtung wird jedoch klar: Der Fußball als Massensport ist so vielfältig wie die Gesellschaft.

Medial kommen Fußballfans dabei oft nicht gut weg. Ob antisemitische oder transfeindliche Stadionbanner, Ausschreitungen im Umfeld von Spielen oder absurde Debatten um angeblich unmännliche Trikotfarben, bestimmen die jüngste Berichterstattung. Aber sind diese „Problemfans“, wie es im Polizeijargon oftmals heißt, und ihre Einstellungen repräsentativ oder ist es nur eine laute und gern zitierte Minderheit derjenigen, die Kultur- und Abwehrkämpfe der Gesellschaft ins Stadion tragen?

„Fußball erlebe ich manchmal als enthemmten Raum. Da darf man ja alles machen“, beobachtet Christoph Pülm, der viele Stunden seines Lebens im Stadion verbracht hat. Vieles trete im Fußball unmittelbarer auf als in der Restgesellschaft. „Aber im Fußballstadion konnten sich sehr lange grenzüberschreitende Personen sicher fühlen“, so Pülm weiter. Seit 10 Jahren ändere sich das aber, stellt er fest.

Das liegt auch an ihm selbst. Christoph Pülm ist nicht nur Fan, er arbeitet auch im Fan-Projekt im Umfeld des Erstligisten Werder Bremen. Er betreut unter anderem die Bildungs- und Sportangebote und Einzelfallhilfen. Seine Berufsbiographie beschreibt er als „unspektakulär.“ Den Weg nach Bremen fand Pülm nach dem Studium der Sozialen Arbeit in Vechta und einer Arbeit in einem Kinder- und Jugendhaus. Pülm, schon damals Werder-Sympathisant, bewarb sich auf eine Stellenausschreibung des Fan-Projektes und gehört seither fest zum Team. „Bei Werder mag ich die aktive Fanszene, die an sich schon unglaublich divers ist“, so Pülm auf die Frage, was ihm denn so konkret hier gefalle. Diskriminierungen gäbe es natürlich auch in Bremen, aber auch ein Bewusstsein für ein gutes Miteinander.

„Ich bin schon langjähriger Stadiongänger, habe aber auch eine große Leidenschaft für Bolzplätze und den Amateurfußball“, beschreibt er seine Affinität zum Sport. Fußball hat er selbst auch gespielt, wenn auch nur in der zweiten Kreisklasse in Niedersachsen, wie er anfügt. Von der Existenz von Fan-Projekten, die inzwischen alle großen Vereine haben, hat er erst im Studium erfahren und fühlte sich davon gleich angesprochen: „Ohne dass es mir bewusst war, hatte ich schon gespürt, dass Fußball ein bisschen mehr ist als Gekicke.“ Nach und nach sei in ihm die Erkenntnis gekommen, dass Fußball ein hochpolitischer Raum sei, „in dem viele problematische Dinge passieren, der aber auch ganz viele Potential für junge Leute bietet, sich politisch zu sozialisieren und eine demokratische Identität auszubilden.“

Christoph Pülm

Die Aufgabe des Fan-Projektes sei primär die aufsuchende Arbeit der Fans bei den Spielen und die Begleitung der aktiven Fanszene. Außerdem bietet das Fan-Projekt taschengeldfreundliche Auswärtsfahrten für Minderjährige an. „Wir bieten diese Fahrten so günstig wie möglich an und machen da keinen Gewinn“, erklärt Pülm. Fußball sei „unglaublich teuer“, insgesamt versuche man nicht mehr als 25 Euro zu nehmen.

Das Fan-Projekt fährt nicht nur zu anderen Fußballspielen, sondern bietet auch jährlich Bildungsfahrten ins Ausland an. Eine Fahrt führte die Werderfans vor einigen Jahren in die Gedenkstätte des Vernichtungslagers Auschwitz. „Dabei stellen wir uns die Frage, was das ‚nie wieder‘ eigentlich mit uns zu tun hat und wie wir diese zentrale Losung in unseren Fan-Alltag integrieren können“, erklärt Christoph Pülm den Gedanken hinter dem Fahrtziel. In der Gedenkstätte hat die Reisegruppe etwas gemacht, was auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheint: „Dort haben wir mit einer Jugendgruppe ein Banner gemalt. Das haben wir dann zum ‚Nie wieder‘-Spieltag im Januar 2023 im Stadion aufgehängt.“ Für diese Aktion wurde die Gruppe mit dem Kinder- und Jugendpreis der Landeszentrale für politische Themen in Bremen ausgezeichnet.

Das Fan-Projekt setzt sich immer wieder mit den Verbrechen des Nationalsozialismus im Kontext des Fußballs auseinander. So auch beim Projekt „Transfer-Coup“, einem Stadt- und Stadionrundgang zur Rolle Werder Bremens im Nationalsozialismus. Dieser wird sowohl für die eigenen jungen Fans, als auch für die von auswärts angeboten. Das unmittelbare Erleben dort, wo die Verbrechen der Nazis stattfanden, wirkt intensiver nach als jedes Geschichtsbuch, so Pülm: „Orte, die Begegnungen schaffen sind immer eine gute Gelegenheit, um demokratisch und gewaltpräventiv zu arbeiten“. Bei allem werden aber auch immer demokratische Werte vermittelt, erklärt er weiter: „Antidiskriminierungsarbeit ist in Fan-Projekten eine Querschnittsaufgabe.“ Dies gelte für alle Bereiche.

Das Fan-Projekt ist auch eine Folge der Kämpfe, die progressive Fußballfans in den letzten 20 bis 25 Jahren gekämpft haben. Jahrzehntelang gab es in Bremen eine eng mit Neonazis verknüpfte Hooliganszene, die auch mit körperlicher Gewalt gegen Nicht-Rechte Fans vorging. Die Soziale Arbeit in den Neunzigern war überwiegend akzeptierend ausgerichtet, was mit dem Blick von heute eher zur Stärkung der Rechten führte. „Die aktive Fan- und Ultraszene hat über viele Jahre gegen diese Menschen gearbeitet und versucht, Nazis aus dem Stadion zu bekommen und eine andere Fankultur zu integrieren. Das ist gelungen. Auch in den Vereinsspitzen gab es landesweit zunehmend einen Paradigmenwechsel. Mit Erfolg.” so Pülm: „In der Ostkurve gibt es im Stadion keine Neonazis mehr. Das ist ein Erfolg der aktiven Fanszene von unten.“

Zu tun gibt es dennoch genug, gerade im Bereich Antidiskriminierung und Gleichstellung, erklärt Pülm: „In vielen Stadien gibt es noch keine Eingänge für Menschen, die sich nicht als männlich verstehen oder queer sind. Viele Stadien sind noch nicht barrierefrei.“ Ein Projekt, welches das Fan-Projekt mit der aktiven Fanszene umsetzt, sind Awareness-Strukturen im Stadion. „Sexismus und sexualisierte Gewalt ist im Stadion allgegenwärtig, für viele Gruppen ist das eine Herausforderung“, so Pülm. Das Awareness-Projekt richte sich primär an Menschen, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind, aber auch an diejenigen, die sich in einer Situation unwohl fühlen. Geboten wird eine „erste emotionale Hilfe“, sagt Pülm. „Das kann erstmal alles sein und das definieren die Menschen selbst.“

Doch warum werden Fußballfans in den Medien häufig so schlecht dargestellt? Laut Pülm dienen sie der Politik als Projektionsfläche: „Fußballfans sind gern Zielscheibe von populistischen Forderungen an die Sicherheitsgesellschaft.“ Die Entpolitisierung und Kriminalisierung der Fußballfans und der Fan-Projekte sei ein Problem, weil sie auch die „Vernünftigen“ und damit die überwiegende Mehrheit treffen kann. Die Folgen sind weniger Unterstützung von staatlicher Seite für Arbeit wie seine, so Pülm. Das spüre man im Fan-Projekt bereits: „Wir merken diese Zeitenwende gerade sehr, und dass unsere Jugendarbeit sehr unterfinanziert ist.“

Probleme in den Strukturen seines Sports leugnet er keinesfalls, mahnt aber zu einer differenzierten Betrachtung der Szene. „Man findet Beispiele, wo der Fußball rückständig ist. Man findet aber auch genauso viele Beispiele dafür, dass der Fußball sehr fortschrittlich ist.“ Das Bild, dass alle Fußballfans Rowdys sind, komme noch aus den Neunzigern und die Fans hatten lange keine Lobby wie etwa Fan-Projekte : „Ich erlebe junge Fußballfans eigentlich so wie das, was wir von Jugend eigentlich einfordern.“ Damit meint er die Entwicklung zu politischen Menschen und mündigen Bürger*innen, auch in den Fanszenen. Klar, sie schlagen auch einmal über die Stränge, aber welcher Teenager tut das nicht? „Klar erlebe ich Sachen wo man denkt, da sollte man schon weiter sein“, aber dann auch immer wieder das absolute Gegenteil: „Bei Auswärtsfahrten denke ich mir einfach oft, dass es einfach tolle junge Menschen sind, die da bei Werder rumlaufen. Das macht total Spaß mit denen.“

Philipp Meinert

Weitere Infos

Homepage des Fanprojektes Bremen

Das Fanprojekt auf Instagram

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