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Ausgabe 02 | 2024: Bedrohte Vielfalt
Schwerpunkt
Ein Blick auf den Ortskern von Kahla

Bunt statt Braun im Dorf

Das Städtchen Kahla in Thüringen gilt als "braunes Nest." Doch auch hier gibt es Gegenwehr. Im Demokratieladen hält man seit über 10 Jahren erfolgreich dagegen. Ein Ortsbesuch.

Kommt man mit dem Zug in Kahla an, wird es einem schnell bunt. Wer in dem 7000-Einwohner*innen-Städtchen aussteigt, wird freundlich von knalligen Graffitis und Regenbogenfahnen auf der Fassade des Bahnhofsgebäudes begrüßt. Auf dem Weg in die von Altbauten geprägte Innenstadt zeichnet sich eine gewisse politische Diversität angesichts der nahenden Kommunalwahl ab. Plakate der AfD wechseln sich ab mit denen der Grünen, die mit den großen Demonstrationen gegen Rechtsextremismus nach den Correctiv-Enthüllungen werben. Zwischendrin buhlt ein gemeinsamer Kandidat von SPD und LINKEN seltsam unpolitisch um die Stimmen der Kahlaer*innen. Ein weißer SUV gibt mittels Aufkleber zu verstehen, dass sein Besitzer oder seine Besitzerin so gar nichts vom Gendern hält, während antifaschistische Sticker an der Laterne kleben. So weit, so durchschnittlich. Dabei hat das Thüringer Städtchen in der Nähe von Jena eine ziemlich braune Geschichte – aber ebenso eine Geschichte der Diversität.

Die Geschichte des Rechtsextremismus in Kahla, das nicht nur in der DDR für seine Porzellanproduktion bekannt war, ist lang und kann hier nicht umfassend dargestellt werden. Kahla ist die Heimat des bekannten Rechtsextremisten Karl-Heinz Hoffmann, der in den 80er Jahren für seine neonazistische „Wehrsportgruppe Hoffmann“ berüchtigt war. Seit Jahren besteht außerdem mit der „Burg 19“ ein zentral gelegenes, von Neonazis genutztes Haus im Zentrum mit gelegentlichen extrem rechten Veranstaltungen. Erst im letzten Jahr verhinderte die Polizei ein „Solidaritätskonzert“ für den NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben. Und der 2021 direkt gewählte Bundestagsabgeordnete für den landkreisübergreifenden Wahlkreis, in dem auch Kahla liegt, ist von der AfD. 2018 bezeichnete das Magazin Der Spiegel die Region Kahla gar als „Neonazi-Hochburg“.

Der Bahnhof in Kahla. Davor das Stadtwappen

Doch das ist nur eine Seite von Kahla. Eine andere findet sich in der Margaretenstr. 11 mitten in der kleinen Innenstadt. Hier befindet sich der Demokratieladen. Diesen gibt es seit 2013, erklärt Steffi Weber, die seit fünf Jahren hier vor Ort arbeitet und zuvor in der Flüchtlingssozialarbeit tätig war.  Anfangs wurden die Räumlichkeiten von einer zivilgesellschaftlichen Initiative genutzt, die sich gegen den von 2002 bis 2016 veranstalteten „Thüringentag der nationalen Jugend“ richtete – ein Festival aus dem Umfeld der damaligen NPD und anderen Neonazis, welches 2013 auch in Kahla stattfand. Das Engagement wurde verstetigt und unter anderem der Laden weitergeführt. „Seitdem steht der Demokratieladen menschenrechtsorientierten Initiativen und engagierten Menschen aus dem ländlichen Raum zur Verfügung. Wir als Team unterstützen diese bei Bedarf, initiieren aber auch eigene Projekte, haben Öffnungs- und Sprechzeiten und sind immer ansprechbar“ fasst Weber die Aufgaben vor Ort zusammen. In den verschiedensten Netzwerken sei man aktiv und biete z.B. in einer kleinen Bibliothek Informationen an. Der Demokratieladen ist in der Trägerschaft von Bildungswerk BLITZ e.V.

Und wer schaut hier so vorbei? „Überwiegend Engagierte und Aktive, die etwas umsetzen wollen. Es finden Netzwerkrunden und Planungstreffen statt,“ erklärt Steffi Weber, aber auch Veranstaltungen wie Lesungen und Infoabende würden in den Räumlichkeiten des Demokratieladens abgehalten. „Der Laden hat auch eine Schutzraumfunktion für die, die entsprechende Bedürfnisse und Anliegen haben“ ergänzt Sebastian Kretzschmar, der seit 2017 Mitarbeiter im Projekt „Schau HIN vor Ort“ ist, welches mit dem Paritätischen Wohlfahrtsverband Thüringen zusammen durchgeführt wird und soziale Einrichtungen in Hinblick auf demokratiestärkende Aspekte unterstützt und begleitet. Gemeint sind beispielsweise queere Menschen, die hier Beratung und Hilfe bei Anfeindungen suchen.

Von links nach rechts: Sebastian Kretzschmar, Michael Schaffhauser und Steffi Weber.

Die rechte Szene sei nicht mehr so eindeutig zu definieren, erklärt Michael Schaffhauser, der seit 2007 beim Träger BLITZ ist und unter anderem das Projekt „Partnerschaft für Demokratie“ im Landkreis koordiniert: „Hier in Ostthüringen gibt es eine Mischszene. Und hier ist sie besonders stark.“ Was er damit meint: Früher gab es Neonazistrukturen mit recht klar abgrenzbaren Protagonist*innen, doch das Feld sei unübersichtlicher geworden. „Es ist inzwischen so, dass man nicht mehr genau sagen kann, wer wohin gehört. Die Region war schon lange ein Schnittpunkt für vieles“, stellt Schaffhauser fest. Das „klassische“ Neonazi-Umfeld existiert immer noch, wie sich im letzten Jahr mit der versuchten, konspirativ vorbereiteten Veranstaltung aus dem NSU-Umfeld zeige. Aber vor allem habe seit etwa 2016 eine Normalisierung für extrem rechte Deutungen und Ziele stattgefunden. Die Grenzen zwischen Neonazismus und rechtsgerichtetem Populismus einerseits und bürgerschaftlicher Kultur mit klarer demokratischer Werthaltung andererseits verwischen zusehends, was die Arbeit für den Demokratieladen nicht leichter macht. Schaffhauser: „Die Haltungen sind sehr diffus und es ist schwer zu isolieren, wer da jetzt für was steht oder wer für was eintreten will.“ „Inzwischen müsse man mehr auf die Zwischentöne hören und es erschwere die Abgrenzung.“, erklärt Sebastian Kretzschmar.

Diese Normalisierung zeichnet sich auch ab am wachsenden Desinteresse gegenüber Haltungen und Mahnungen der engagierten Zivilgesellschaft. Der Kauf einer weiteren Immobilie durch Neonazis im Nachbarlandkreis löst heute nicht mehr breites Entsetzen aus, es gibt kaum Reaktionen. Ein weiteres Beispiel ist das bereits erwähnte bunt angemalte Bahnhofsgebäude. Das Projekt wurde 2019 mit Schüler*innen aus Kahla vorbereitet und umgesetzt. „Es wurde angegriffen durch eine Gruppe, die sich ‚Neue Hitlerjugend‘ nannte. In der Presse vor Ort war der Tenor nur, dass es ja nicht ginge, dass das Kinderprojekt gleich wieder zerstört würde“, erklärt Michael Schaffhauser. Der neonazistische Hintergrund des Angriffs wurde kaum thematisiert.

Im Demokratieladen

Immer wieder kam es auch in den Jahren zuvor zu Angriffen oder Bedrohungen, sowohl gegen den Laden als auch gegen Menschen, die nicht ins rechte Weltbild passen. Seit einiger Zeit ist es deutlich ruhiger, was die eindeutigen Straftatbestände betrifft.

„Es ist für die extrem rechte Szene im Moment nicht so opportun, offen gewaltsam aufzutreten“, gibt Michael Schaffhauser zu bedenken. „Für organisierte Kräfte mag sich gerade die Frage stellen, ob der ‚parlamentarische Weg‘ nicht weiterführt.“ Die Gewaltförmigkeit rechtsextremer Weltbilder und damit verbundener Ziele, von Ungleichwertigkeitsvorstellungen bis hin zu Menschenverachtung, bestehen fort. Die Angriffe erfolgen aber nicht mehr nur über zerstörte Fensterscheiben, sondern auch im Zuge der zunehmenden parlamentarischen Präsenz von national-völkischer Ideologie. Das sei ein Effekt der Normalisierung und der aufweichenden Grenzen. Im Klartext bedeutet das z.B. die Bedrohung durch Streichungen von Mitteln für demokratiestärkende Projekte und Programme, ganz offiziell durch die Parlamente. Das wirkt womöglich nachhaltiger als eine zerstörte Scheibe.

Warum gibt es den Demokratieladen auch nach 11 Jahren noch? - Der Demokratieladen hat sich nicht vertreiben lassen. „Wir sind nach wie vor da und wir haben uns hier auch festgesetzt,“ Sebastian Kretzschmar rückt Geduld und Hartnäckigkeit als einen Faktor für wirksames Engagement ins Zentrum. Die Zusammenarbeit in und mit der Stadt hat sich weiterentwickelt, inzwischen initiiere man gemeinsame Aktionen wie die erwähnte Umgestaltung der Bahnhofsfassade und wie kürzlich auch die Errichtung eines Erinnerungsortes zur Bücherverbrennung im Nationalsozialismus. Kooperationspartner sind häufig Jugendarbeiter*innen und Schulsozialarbeiter*innen, aber auch soziale Einrichtungen, Kirchen und im Landkreis ansässige Initiativen und Vereine. Auch Feuerwehr und Sportvereine gehören dazu. Themen wie Jugendbeteiligung, Gedenk- und Erinnerungsarbeit, die Stärkung für Kultur und Engagement werden gemeinsam bearbeitet. Vernetzungen gibt es in ganz Thüringen. Michael Schaffhauser beobachtet in Sozialen Netzwerken, dass sich „in der Szene“ schon gegenseitig auffordert wird, die Füße stillzuhalten. „Denn wenn etwas gegen die breit angelegten Veranstaltungen passieren würde, würde es ihnen ja angelastet“, stellt er fest. Das sei in gewisser Weise ein Erfolg davon, dass man einfach nicht weg ginge.

Und: Der Großteil der in Kahla lebenden Menschen kann mit dem brauen Spuk nichts anfangen. „Es gibt einen großen Bevölkerungsanteil derjenigen, bei denen das rechte Denken und die einfachen Parolen nicht verfangen“, erklärt Steffi Weber. Sie gilt es anzusprechen und zu stärken. „Und es ist nicht so, dass man Angst haben muss, wenn man hier auf die Straße geht“, ergänzt Schaffhauser.

Mit Sorge geht der Blick auf die anstehenden Wahlen in diesem Jahr und den weiter wachsenden Einfluss von autoritärer, ausgrenzender und unsozialer Programmatik, die für den ländlichen Raum insgesamt präsentiert wird. „Die Frage, wie sich das für die Sozialwirtschaft auswirken kann, ist sehr komplex“, meint Schaffhauser. Aber auch hier will man aktiv werden. Der Paritätische bezieht demokratiestark Position und unterstützt die Mitgliedsorganisationen, wie BLITZ.

Rund um die Kommunal-, Europa- und Landtagswahlen ist bereits einiges geplant, erklärt Steffi Weber: „Wir wollen gemeinsam mit dem Jugendbeirat sowie weiteren Kooperationspartner*innen eine U18-Wahl veranstalten und Erstwähler*innen direkt ansprechen.“ Dabei geht es nicht darum, Wahlempfehlungen zu geben. Sondern es soll auf die Möglichkeit zur eigenen Mitbestimmung auch für Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene aufmerksam gemacht werden. Das kann über Wahl sein, oder auch über Angebote zur Teilhabe direkt vor Ort, die die jungen Menschen vielleicht gar nicht kennen.

BLITZ unterstützt außerdem die Kampagne WELTOFFENES THÜRINGEN. Sie ist durch engagierte Akteurinnen und Akteure organisiert. Die längerfristigen Programme von Land und Bund sind häufig einer gewissen Neutralität verpflichtet. Eine Kampagne gegen eine bestimmte Partei oder eine bestimmte Gruppe, selbst wenn sie ganz klar rechtsextrem ist, könnte in deren Rahmen nicht ohne Weiteres umgesetzt werden. Sie sind aber für viele unverzichtbar. „Das Landesprogramm DENK BUNT in Thüringen hat eine enorme Bedeutung“, betont Schaffhauser. Es benötige dringend Rückhalt und Unterstützung. Bereits jetzt gäbe es Erosionen im Thüringen. Das eine oder andere Demokratie-Projekt ist schon weg.

Das Team des Demokratieladens will so lange in Kahla bleiben, wie es geht. „Ich bin der Meinung, dass es Strukturen für zivilgesellschaftliches Engagement braucht. Der Demokratieladen ist eines dieser Projekte, die diese Struktur bieten können. Die Akteur*innen vor Ort brauchen uns, so wie wir das Landesprogramm brauchen“, meint Steffi Weber. In der nächsten Zeit gibt es viel zu tun. Der Sommer in Thüringen wird auf jeden Fall heiß.

Philipp Meinert

Weitere Infos

Homepage des Demokratieladens

Der Demokratieladen auf Facebook

Homepage des Bildungswerks Blitz

Das Bildungswerk Blitz auf Facebook und Instagram

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