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Ausgabe 02 | 2024: Bedrohte Vielfalt
Schwerpunkt

Belästigung gegen Selbstbestimmung

Schwangerschaftsabbrüche werden wieder ein kontrovers diskutiertes Thema. Bei manchen bleibt es nicht bei Diskussionen. Sie wollen Frauen ihre Meinung direkt da aufzwängen, wo diese Hilfe erwarten können. Wir besuchen eine Paritätische Einrichtung, wo genau das passiert ist. Das 30-köpfige Team bei Balance bietet Sexualpädagogik, die psychologische Beratung zur Familienplanung, Sexualität und Partnerschaft und medizinische Hilfe rund um die Frauengesundheit.

Irgendwann im Mai 2021 standen Sie plötzlich vor dem Familienplanungszentrum (FPZ) Balance, die selbsternannten „Lebensschützer*innen.“ Ein kleines Grüppchen fundamentalistischer Christ*innen wollten den Besucherinnen des Zentrums einen Schwangerschaftsabbruch ausreden. Für die Mitarbeiter*innen in Lichtenberg zunächst eine unangenehme Überraschung. Doch sie blieben nicht untätig.

„Für Berlin war das ein Novum“, erinnert sich Konstanze Haase, Psychologin und stellvertretende Geschäftsführung bei Balance. Im Westen sei dies ein bekanntes Vorgehen von Abtreibungsgegnern oder sogenannten Lebensschützern, aber das FPZ war im Osten die erste Einrichtung, die Schwangerschaftsabbrüche durchführt die aufgesucht wurde. Die Abtreibungsgegner*innen waren gut informiert und wussten, dass die Operationen in der Regel freitags durchgeführt werden. So standen sie genau an diesem Tag vor der Tür. Frauen sollte damals der Zutritt zur Einrichtung verweigert werden, die Flyer der Gruppe wurden ihnen aufgedrängt und sie wurden sehr aktiv angesprochen.„Das war schon sehr unangenehm, sowohl für die Frauen, die zu uns kommen, als auch für uns Mitarbeiter*innen“, erinnert sich Frau Haase. Die Polizei löste das Ganze schnell auf. Zuvor stellte sich noch eine Mitarbeiterin von Balance vor die Gruppe und gab an, sie sei stolz, hier zu arbeiten. Als die Fundamentalist*innen ein paar Monate später wiederkamen, war die Gruppe noch schneller weg und ist seitdem nicht mehr aufgetaucht. Die Ampel-Regierung möchte diese Art von Belästigung bald gesetzlich verbieten, ein entsprechender Gesetzentwurf, der Gehsteigbelästigungen unter Strafe stellt, liegt der Bundesregierung bereits vor.

FPZ Balance

Im Fokus der Abtreibungsgegner sei man schon länger, erinnert sich Konstanze Haase. Wer Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland durchführt, ist schnell auf dem Radar. Das FPZ taucht auf einer einschlägigen und Holocaust-relativierenden Homepage auf, die einer der prominentesten Vertreter der Szene betreibt. Beim Einzug in neue Räumlichkeiten bekamen alle Mitarbeiter*innen Briefe – namentlich an jede*n persönlich adressiert. Das kann schon einschüchternd wirken.

Das Vorgehen ist perfide. Die Flyer zeigen grausame BildEine Schwangerschaft beendet werden kanner angeblich abgetriebener Föten, die jedoch nicht aus dem Zeitraum der ersten drei Monate stammen können, in denen in Deutschland ewerden kann, weiß Verena Dörholt, examinierte Krankenschwester. Hier wird gezielt die Unwahrheit gesagt und betroffene Frauen werden manipuliert. Die Darstellung ist plump, grausam und kann aber wirkungsvoll sein, weiß Dörholt: „Wenn das einer Frau gezeigt wird, die sich die Entscheidung sowieso schon schwer macht, erschwert es das Ganze noch mehr.“ „Keine Frau macht sich die Entscheidung leicht und wenn ihnen die grausamen Bilder gezeigt werden, wird ihre Situation um ein vielfaches erschwert.”

Das Zentrum gibt es bereits seit 1992 und sei ganz bewusst im Osten von Berlin entstanden, erklärt Konstanze Haase. „Mit der Neuregelung des Paragraphen 218 nach der Wiedervereinigung war das nötig. Für die Frauen in der ehemaligen DDR war das ja ein Rückschritt“, erklärt die Psychologin. Vorbild war die bereits etablierte Institution pro familia in Westdeutschland.

FPZ Balance

Auf Wunsch gibt es im Familienplanungszentrum auch eine psychologische Beratung. „Öffentlich arbeiten wir auch für Entstigmatisierung des Schwangerschaftsabbruchs“, so Konstanze Haase. Manche Frauen erzählen aus Angst vor Ablehnung fast niemandem davon, auch nicht nahestehenden Personen. „Das Thema Schwangerschaftsabbruch gehört nicht in das Strafgesetzbuch und die Entkriminalisierung ist schon lange überfällig. Deshalb müsse das Thema Schwangerschaftsabbruch auch raus aus dem Strafgesetzbuch, denn durch die strafrechtliche Regelung behält es den Hauch des Verbotenen.”

Es sind nicht nur ein paar selbsternannte „Lebensschützer*innen“, die die Arbeit für Balance und natürlich den betroffenen Frauen erschweren. Es ist das allgemeine gesellschaftliche Stigma, das Schwangerschaftsabbrüche immer noch haben. Die Beendigung einer Schwangerschaft ist der häufigste Eingriff in der Gynäkologie, dennoch wird ausgerechnet dieser im medizinischen Studium nicht gelehrt.

In den letzten Jahren nahm das Thema noch einmal an Fahrt auf. Gründe sind neben dem politischen Rechtsruck auch die Forcierung durch erstarkte Parteien des rechten Randes, die den Antifeminismus entdeckt haben und die Frau wieder auf ihre Mutterrolle reduzieren wollen. Dazu ist das Thema anschlussfähig an das demokratisch-konservative Spektrum.

„Die Frauen, die hier in der Behandlung sitzen, haben verantwortungsvolle Entscheidungen getroffen.“ Sie rechtfertigen sich sogar für den Schritt, obwohl sie es nicht müssten. „Wenn eine Frau mir erzählt, sie sei noch in der Ausbildung, der potentielle Vater würde sie nicht unterstützen und sie traut es sich nicht zu, alleinerziehend zu sein, ist ein Schwangerschaftsabbruch eine verantwortungsvolle Entscheidung. “ Tatsächlich gäbe es in Deutschland viel zu wenig Unterstützung für alleinerziehende Mütter. Und es ist für manche ungewollt Schwangere ein langer emotionaler Prozess, bis zu ihrer Entscheidung.

Im Thema ist derzeit wieder Bewegung. Vor zwei Wochen erschien die ELSA-Studie, die sich mit der Situation ungewollt Schwangerer wissenschaftlich auseinandersetzt. Zentrale Ergebnisse sind die schlechte Versorgungslage für Betroffene und die Diskriminierung, die sie erleben. Konstanze Haase war zunächst euphorisch, als die Kommission sich für eine Streichung des Paragraphen 218 aus dem Strafgesetzbuch einsetzte. Die Ernüchterung folgte jedoch bald: „Dann habe ich Herrn Lauterbach dazu gehört und war ein bisschen desillusioniert.“ Der Gesundheitsminister machte klar, dass eine Reform des Strafrechts für ihn keine große Priorität in der selbsternannten „Fortschrittskoalition“ hat. Das Thema wird also noch weiter aktuell bleiben.

Philipp Meinert

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